Effizienz der Instrumente statt Inflation der Programme
Die Würde des Menschen ist unantastbar. Mit diesem grundlegenden Verfassungsrecht ist Deutschland seit Gründung der Bundesrepublik gut gefahren. Wenn dieses Grundrecht in Gefahr gerät, zeigen Staat wie Gesellschaft Entschlossenheit und verteidigen unsere wichtigste ideelle Lebensgrundlage. Es ist vorstellbar, dass wir auch dem Klima verfassungsgemäß abgesicherte Unantastbarkeit einräumen. National hätte der Vorschlag vermutlich eine große Mehrheit.
Die Unantastbarkeit von Menschenwürde und Weltklima unterscheiden sich allerdings in einen zentralen Aspekt: Der Schutz der Menschenwürde ist eine Reaktion auf menschlich-moralisches Versagen. Der Schutz des Klimas ist eine gigantische Zukunftsaufgabe. Um das Klima zu retten, reicht es nicht, das Grundgesetz zu ändern oder – etwas niedriger gehängt – kontinuierlich neue Aktionsprogramme aufzulegen. Klimaschutz ist die Politik, fast Unmögliches mit dem Machbaren zu realisieren.
Suche nach dezentralen und individualisierten Lösungen
Auf der 21. Klimakonferenz in Paris soll das fast Unmögliche Vertragsform bekommen. Kyoto-II könnte man das Projekt taufen. Das Ziel, ein neues verbindliches Vertragswerk zu schmieden, trägt allerdings den Virus des Zweifels bereits in sich. Denn die knapp 200 Vertragsstaaten des ausgelaufenen Kyoto-Programms zerfallen in drei ungleiche Gruppen: Einige Länder priorisieren den Klimaschutz als gesamtgesellschaftliches Thema. Dazu zählen vor allem und fast allein Deutschland und die EU. Die zweite und größte Gruppe bilden Länder, die die Einhaltung der 2-Grad-Grenze möglichst weit in die Zukunft schieben wollen, allen voran China und die USA. Die dritte Gruppe verknüpft mit dem Klimaschutz die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. Hier geht es um die Entwicklungs- und Schwellenländer, deren Pro-Kopf-Emissionen absolut noch sehr niedrig, deren Steigerungsraten hingegen dramatisch hoch sind.
Auf den Klima- und Vertragsstaatenkonferenzen wird die Vermittlung der unterschiedlichen Interessen und Ansätze zunehmend in dezentralen, individualisierten Lösungen gesucht. Der Green Climate Fund dient als Sammelbecken der Vorstellungen. Die Konferenz-Dossiers bemänteln mehr als sie bewirken. Größte Sorge bereitet aber die Transformation des Klimaschutzes zur Plattform der Appelle, Aktionen und Schuldzuweisungen.
Jedes Thema braucht sein Narrativ. Nur Bilder und Botschaften sichern einem Thema das Überleben. Kein Thema entwickelt sich ohne kommunikative Absicherung. Doch das Klima bessert sich im Gegensatz zu gesellschaftlichen Prozessen nicht, indem wir darüber reden. Jüngstes Beispiel ist das Papier zum Strommarkt aus dem Hause des Bundeswirtschaftsministers. Es geht darin um die Einsparung von 22 Millionen Tonnen CO2, also 2 Prozent der nationalen oder 0,0005 Prozent der globalen CO2-Emissionen. Auch ohne quantitative Marginalisierung dieses Beitrages verwundert es, wie schnell der Gabriel-Vorschlag zu einem verbissenen kommunikativen Stellungskrieg geführt hat.
Mehr Effizienz im Klimaschutz
Es ist Zeit, der klimapolitischen Kommunikation Beschränkung aufzulegen. Je stärker das Thema unser Bewusstsein beherrscht und das tägliche Leben bestimmt, desto geringer werden die Potenziale, den Ausstoß an Klimagasen wirksam zu begrenzen. Das klingt paradox und ist nichtsdestoweniger wahr. Den Beweis liefert das europäische Emissionshandelssystem. Gestartet mit viel Lob und wenig Vorgaben hatte das System das Zeug dazu, sich zum europäischen und globalen Primärinstrument zum Schutz des Klimas zu entwickeln. Ein Markt-Preis für den Ausstoß einer Tonne CO2 und eine an den Klimazielen orientierte Emissionshöchstmenge waren die einfachen Zutaten. Doch das Emissionshandelssystem hat bis heute so gut wie keine Akzeptanz in der klimafixierten Gesellschaft. Hoffnung und Aktivitäten richten sich dagegen auf regionale Klimaschutzprogramme, lokale Initiativen wie der CO2-freie Stadtgarten oder das CO2-freie Paket großer Internetshops.
Es ist ebenso schwer wie richtig, das Narrativ im Klimaschutz neu auszurichten: Mehr Effizienz im Klimaschutz. Der Grundsatz muss lauten: Ein Ziel, ein Instrument. Das Emissionshandelssystem hat die Voraussetzungen und das Potenzial, unser Gewissen und die Lebensgrundlagen in den Entwicklungs- und Schwellenländern gleichermaßen zu stärken. Der Emissionshandel passt zu starken und zu sich entwickelnden Wirtschaftsräumen, weil er die Ressourcen schonend verwaltet. Vermutlich bleibt dieses Narrativ eine Utopie.
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Wieland Kramer ist freier Wirtschaftsjournalist