Klimaneutrales Industrieland Deutschland: Jetzt Sofortprogramm „Erneuerbare für die Industrie“ einleiten
Das Ziel für „übermorgen“ ist gesetzt: Deutschland wird zum klimaneutralen Industrieland. Damit der Weg hin zu 1,5 Grad auch konsequent beschritten werden kann, benötigen wir marktgetriebene Innovationen und einen Ausbauboom für Wind und PV. Mit einem Sofortprogramm kann „Made carbon free in Germany“ das globale Markenzeichen unseres Wegs zur Klimaneutralität werden.
Weltweit wettbewerbsfähige Energiekosten und ein verlässlicher Ausbau mit erneuerbaren Energien sind heute zentrale Standortfaktoren der Industrie. Es war daher konsequent, dass die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz angepasst hat, dies wäre auch ohne das Urteil des Bundesverfassungsgerichts schlicht unvermeidlich geblieben.
Klar ist aber auch: Ein Klimaschutzgesetz und hohe Zielsetzungen mindern noch kein einziges Gramm CO2 und tragen auch nicht per se zur Wettbewerbsfähigkeit des Industrielandes Deutschland bei. Dies geht nur mit konkreten Maßnahmen und einer starken Allianz aus erneuerbaren Energien und der Industrie:
- Ausbaumengen und Strombedarfe auf Klimaziele ausrichten: Aufgrund der steigenden Elektrifizierung, der notwendigen Sektorenkopplung und des Hochlaufs der Wasserstofftechnologie muss im Jahr 2030 von einem Bruttostromverbrauch von ca. 748 TWh ausgegangen werden, statt wie bisher von 580 TWh. Der Anteil der Erneuerbaren muss dann bereits über 70 Prozent liegen und die Ausbaumengen müssen sich technologieübergreifend mehr als verdoppeln.
- Flächen bereitstellen, Genehmigungen beschleunigen, Akzeptanz erhöhen: Die gestrafften Ausbauziele erfordern deutlich mehr Projekte und eine wesentlich schnellere Umsetzung. Hierfür bedarf es einer bundesweiten Flächenregelung, eines bundeseinheitlichen Standards im Natur- und Artenschutz sowie eine Begrenzung der Genehmigungsdauer auf maximal sechs Monate. Nach Ablauf der Frist gilt der Antrag als genehmigt. Entscheidend für die Stärkung der Akzeptanz vor Ort sind dabei eine gezielte Förderung der direkten Bürgerbeteiligung und die Ermöglichung von Energiegemeinschaften.
- Repowering flächendeckend umsetzen: Im Sinne der Akzeptanz und Effizienz der Energiewende sollten Altanlagen auf bereits akzeptierten Standorten durch neue leistungsstärkere Anlagen ohne vollumfängliches Genehmigungsverfahren ersetzt werden können. Dabei sollte auf die strikte Flächenbindung verzichtet werden.
- Hemmnisse für PPAs auflösen und Grünstrommarkt zum Durchbruch verhelfen: PPAs können sowohl dazu beitragen, nicht repowering-fähige Ü20-Anlagen im Markt zu halten als auch den Bau neuer förderfreier Anlagen anzureizen. Hierfür bedarf es Rechtssicherheit für langfristige PPA-Verträge zwischen Industrie und Erzeuger. Mit der Umsetzung des Marktentwicklungsmodells können zudem große Grünstrommengen in der Industrie genutzt werden.[1]
- Aufbau der leistungsstarken Energieinfrastruktur beschleunigen: Als Industrieland können wir es uns nicht mehr erlauben, dass die Infrastruktur weiter hinter dem Ausbau der Erneuerbaren hinterherhinkt. Konkret muss der Netzausbau auf allen Spannungsebenen vorangebracht werden. Gleichzeitig gilt es, Strom und Gasnetze intergiert als Energienetze zu planen und Wasserstofflösungen mit einzubinden.
- Marktdesign mit 100% Erneuerbaren zukunftsfest machen: Damit die niedrigen Stromgestehungskosten der Erneuerbaren[2] auch in der Breite der Industrie ankommen können, müssen die staatlichen Strompreisbestandteile noch in der nächsten Legislatur auf ein Minimum abgesenkt werden: EEG-Umlage auf null, Stromsteuer auf 1/0,05 Cent/kWh und Refinanzierung aus Einnahmen des CO2-Preis aus ETS und Non-ETS. Parallel dazu bedarf es eines sektorübergreifend wirksamen CO2-Preisregimes, das auch global anschlussfähig ist.
- Flexibilisierungspotenzial der Industrie nutzbar machen: Die Industrie kann durch zu- und abschaltbare Lasten einen zentralen Beitrag zur Netzentlastung und zur Versorgungssicherheit leisten. Hierfür sollten Instrumente wie „Nutzen statt Abschalten“ oder die „Hochlastzeitfenster“ reformiert, ausgeweitet und flexibilisiert werden. Die Bereitstellung von Flexibilität muss sich finanziell auszahlen.
Weltweit hat das Rennen zur grünen Null bereits begonnen. Dennoch bleibt bis zum Erreichen eines gemeinsamen CO2-Preisregimes – mindestens in den G20-Staaten – ein sicherer Carbon-Leakage-Schutz für die Industrie unerlässlich. Wenn wir zugleich „heute“ mit dem Sofortprogramm loslegen, könnte u.a. die Nichteisenmetallindustrie zum Schrittmacher in den globalen Leitmärkten für Klimaschutztechnologien werden.
[1] IKEM (2018): Direkte Vermarktung von Windstrom und anderem erneuerbaren Strom im B2B-Bereich
[2] Fraunhofer (2018): Stromgestehungskosten Erneuerbare Energien
Leiter Strategie und Politik der Erneuerbare-Unternehmensgruppe ARGE Netz