Update der Europäischen Industriestrategie: Fehlendes Puzzleteil zur Wettbewerbsfähigkeit der Metallindustrie?
Die europäische Nichteisen-Metallindustrie ist eine essentielle Industrie für die europäische Wirtschaft. Sie steht am Anfang vieler wichtiger Wertschöpfungsketten und ist ein zentrales Element in der Erreichung der Klimaneutralität bis 2050. Ohne Nichteisen-Metalle könnten wir keine Solaranlagen oder Windräder bauen und auch in der Mobilitätswende sind die Metalle unverzichtbar, etwa für die Elektrifizierung des Antriebstrangs.
Gleichzeitig muss die Nichteisen-Metallindustrie als energieintensive Industrie selbst massiv dekarbonisieren. Produktionsprozesse müssen sauberer und energie- und ressourceneffizienter werden. Viele Unternehmen leisten bereits große Anstrengungen, um den, zur Aufhaltung des Klimawandels so nötigen, europäischen Umwelt- und Klimamaßnahmen gerecht zu werden. Allerdings haben sie immer wieder mit der Einseitigkeit der europäischen Maßnahmen und Marktverzerrungen durch staatliche Interventionen, zum Beispiel in China oder Russland, auf dem globalen Markt zu kämpfen. Die Erhaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit und damit der vielen Arbeitsplätze in Europa ist eine echte Herausforderung für den Sektor.
Aufgabe der Politik ist es daher, den Wandel zur Nachhaltigkeit der Nichteisenmetall-Industrie so zu flankieren, dass wir die Klimaneutralität rechtzeitig erreichen und gleichzeitig Wettbewerbsfähigkeit in Europa garantieren. Dazu braucht die Industrie Vorhersehbarkeit, Investitionen und Innovation, einen kohärenten und stabilen Rechtsrahmen und ausreichend bezahlbare saubere Energie.
Das Update der europäischen Industriestrategie, dass die Europäische Kommission Anfang Mai als Reaktion auf die Corona-Krise veröffentlicht hat, ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie will die europäische Wettbewerbsfähigkeit durch die Bekämpfung von unfairer Preispolitik und ausländischen Subventionen und durch die Minderung von Abhängigkeiten von Produkten aus Nicht-EU-Ländern stärken. Ganz konkret werden dabei auch die Produkte der energieintensiven Industrien genannt.
Mit Förderprogrammen die Dekarbonisierung der Industrie stärken
Darüber hinaus will die Kommission den grünen und digitalen Wandel beschleunigen. Auch hier erkennt sie energieintensive Industrien als prioritär an, da diese mit den größten Herausforderungen zur Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele zu kämpfen haben. Es ist zu begrüßen, dass die Kommission Innovation und Investitionen in die Dekarbonisierung der Industrie durch europäische Förderprogramme wie Horizont Europa oder InvestEU stärken möchte. Auch ihren Appell an die Mitgliedstaaten, die Gelder des europäischen Wiederaufbaufonds für die Schaffung von Business Cases im Bereich Dekarbonisierung einzusetzen, kann ich vollständig teilen. Wichtige Vorhaben von gemeinsamen europäischen Interesse oder IPCEIs und die angekündigte Überarbeitung der Umwelt- und Energiebeihilferichtlinien können Mitgliedstaaten ebenfalls bei der Förderung von sauberen Produktionsprozessen in der Nichteisen-Metallindustrie unterstützen. Außerdem präsentiert die Kommission in der Strategie einen Vorschlag für europäische Carbon Contracts for Difference, finanziert durch Einnahmen aus dem Emissionshandelssystem und dem Innovationsfonds. Dieses Instrument kann Investitionen in Maßnahmen zur Dekarbonisierung gegen zu niedrige CO2-Preise absichern und dadurch Vorhersehbarkeit schaffen.
Carbon-Leakage-Schutz
Neben Innovation und Investitionen geht die Kommission auch auf die Vermeidung von Carbon Leakage ein. Durch einen Grenzausgleichmechanismus will sie die Abwanderung der Industrie in Länder mit geringeren Klimaschutzauflagen verhindern. Gleichzeitig betont sie in der Strategie, dass bestehender Carbon-Leakage-Schutz solange bestehen muss, bis alternative Maßnahmen wie der Grenzausgleichmechanismus voll effizient sind. Damit kommt sie einer Forderung des Europäischen Parlaments nach: Industrie darf keine Minute ohne Schutz sein. Nur so kann Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleiben.
Das Update der Industriestrategie beinhaltet also wichtige und konkrete Initiativen zur Erreichung der Klimaneutralität und Beibehaltung der Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien wie der Nichteisen-Metallindustrie, insbesondere im Hinblick auf Innovation, Investition und Carbon-Leakage-Schutz.
Versorgungssicherheit – sauber und bezahlbar
Ein Element allerdings, das unverzichtbar für den erfolgreichen Wandel der Nichteisen-Metallindustrie ist, wird von der Strategie nur angerissen. Der Sektor braucht dringend große Mengen an sauberer und vor allem bezahlbarer Energie. Schließlich kann eine saubere Produktion eines energieintensiven Sektors nur mit sauberer Energie erreicht werden und Wettbewerbsfähigkeit nur erhalten bleiben, wenn diese Energie, die einen großen Anteil der Kosten der Industrie ausmacht, auch bezahlbar ist.
Zwar erkennt die Kommission diesen Bedarf an und identifiziert in ihrem ersten jährlichen Binnenmarktbericht saubere und bezahlbare Energie als Schlüsselfaktor für die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien, allerdings folgen auf dieses Statement wenig konkrete Vorschläge. Dabei bräuchten die Unternehmen gerade was die Strompreise betrifft mehr Vorhersehbarkeit, ist der Strompreis der Zukunft durch den Kohle- und Atomausstieg und den Ausbau der erneuerbaren Energien doch ungewiss. Die Kommission fordert Mitgliedstaaten lediglich zum schnelleren und ambitionierteren Ausbau erneuerbarer Energien auf und schlägt Power Purchase Agreements (PPAs) für erneuerbare Energien für die Industrie vor. Aber eine innovative Idee, die Bezahlbarkeit von sauberem Strom für die Industrie garantieren kann, gibt es nicht.
Die PPAs könnten so ausgestaltet werden, dass nicht nur die Stromproduzenten profitieren, sondern auch die industriellen Abnehmer. Man könnte ebenfalls über Stromdifferenzverträge nachdenken, die die Produzenten einerseits gegen zu niedrige und die Industrie andererseits gegen zu hohe Strompreise absichern. Auch ein Industriestrompreis ist denkbar. Klar ist, in der Nichteisen-Metallindustrie herrscht viel Unsicherheit bezüglich der Bezahlbarkeit von sauberer Energie und bislang liefert die Kommission auch im Update der Industriestrategie wenig Antworten auf diese Unsicherheit.
Die Strategie ist zwar ein wichtiger Schritt zur Klimaneutralität und Beibehaltung der Wettbewerbsfähigkeit, aber es ist nicht das fehlende Puzzleteil für energieintensive Industrien wie die Nichteisen-Metallindustrie. Dieses Puzzleteil ist und bleibt die Frage, wie der Industrie ausreichend sauberer und vor allem bezahlbarer Strom garantiert werden kann.
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